Neulich in der Straßenbahn…

Pflegeassistentin

Neulich in der Straßenbahn…

Gelegentlich wäre ich gerne mal Mäuschen, um die eine oder andere Situation mitzuerleben oder mithören zu können, ohne dass ich dabei selbst sichtbar wäre. Das schaff ich natürlich nicht, denn ich kann mich leider nicht von etwas über 60 Kilo und 1,63 Meter Körperlänge runterbeamen auf 100 Gramm und 15 cm. Schade eigentlich.

Und dann komme ich doch hin und wieder in eine Situation, in der ich gar nicht Mäuschen sein muss, um eine spannende Situation als Zaungast miterleben zu dürfen. So neulich in der Straßenbahn. Ich fuhr um die Mittagszeit. Die Straßenbahn war ziemlich voll und ich saß mitten zwischen einer Gruppe junger Frauen. Mir gegenüber war noch ein Platz frei, auf den ein älterer Herr zusteuerte, der offensichtlich Probleme beim Laufen hatte, denn er ging an einem Gehstock. Der Herr setzte sich, schaute eine der jungen Damen unverwandt an und fragte sie, woher sie sich kennen würden. In diesem Moment dachte ich „Oha, was passiert denn da?“. Ich war auf alles gefasst, selbst darauf, mich einzumischen und der jungen Dame zur Seite zu springen. Aber es kam ganz anders. Das Mädchen lächelte den älteren Herren an und sagte freundlich: „Sie waren früher mein Wirtschaftslehrer. Ich habe Sie gleich erkannt.“

Daraufhin entwickelte sich ein Gespräch über die Schulzeit, die schlimme Klasse, den schwierigen Lernstoff und die Frage, die kommen musste: „Was machst Du denn jetzt?“ Die Antwort der ehemaligen Schülerin war: „Ich mache eine Ausbildung zur Pflegeassistentin. 2 Jahre dauert die. Bald habe ich Abschlussprüfung.“ Der ehemalige Lehrer nickte und startete dann mit der Aufzählung der gesamten Liste, warum dieser Beruf so schwer, so unterbezahlt und die Arbeit als Pflegekraft so unangenehm sei.

Die junge Pflegeassistentin in spe hörte sich das ruhig an. Ich war natürlich total gespannt darauf, was sie nun antworten würde. Und siehe da, sie lächelte und sagte freundlich „Ach wissen Sie, da haben Sie sicherlich recht, aber mir macht der Beruf einfach unheimlich viel Spaß!“ Der pensionierte Lehrer stutzte kurz – genau wie ich. Wir beide hatten wohl eine andere Antwort erwartet. Er überlegte kurz und erwiderte daraufhin, dass es ja so wichtig sei, dass es gute Pflegekräfte gäbe und wie schwierig seine derzeitige Lebenssituation für ihn sei.

Ich saß den beiden gegenüber und war ehrlich berührt, mit welchem Selbstbewusstsein diese junge Frau über ihre Ausbildung und ihre Freude am Beruf sprach. Und ja, der Beruf ist schwer, er ist allzu oft unterbezahlt. Es gibt viele Baustellen, die beim Thema Pflege zu bearbeiten sind – sie bestimmen jede Diskussion über den Pflegeberuf. Und es ist richtig sie zu thematisieren, denn wir müssen hier alle Druck machen, um jetzt etwas zu verändern. Aber wir müssen schnell Lösungen schaffen, gerade weil der Pflegeberuf eigentlich so viel zu bieten hat. Weil er ein sehr erfüllender Beruf sein kann.

Zurzeit ist die Pflege in den Medien und in der Politik ganz oben auf der Agenda. Doch wenn jetzt nur viel geredet wird und nichts passiert, werden auch die motiviertesten Pflegenden das Weite suchen. Diese junge Pflegeassistentin von morgen hat mir noch mal ganz deutlich gezeigt, wie hoch hier die Verantwortung der Pflege gegenüber ist.

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