Pflege als Reichtum
Gastbeitrag von Fabrice Wendt, Altenpflegeschüler im dritten Lehrjahr bei der Bremer Heimstiftung
In die Pflege wollte ich eigentlich nie.
Ich bin mit diesem Beruf aufgewachsen. Meine Mutter war bis zu ihrer Rente examinierte Altenpflegerin, meine Großmutter Krankenschwester – mir war dieser Beruf also ein ständiger Begleiter.
Ich wollte Jura studieren, ein großer Staatsanwalt werden, vielleicht einmal Richter. Geregelte Arbeitszeiten, ein gutes Gehalt, hohes gesellschaftliches Ansehen. Etwas, dass sich alle Eltern für ihre Kinder wünschen. „Mein Kind wird einmal Arzt.“, heißt es häufig. Oder: „Anwalt. Mein Kind wird mal Anwalt.“. Zwei Berufe, die unterschiedlicher nicht sein könnten, aber in der Gesellschaft hoch im Kurs stehen. Und im Gegensatz dazu: Der Altenpfleger. Ich habe noch nie eine Mutter voller Stolz sagen hören: „Mein Kind wird mal Altenpfleger.“, denn allzu oft wird der Beruf, denn ich erlerne, von der Gesellschaft verkannt, als „niedrig“ empfunden und nur mit den Ausscheidungen von älteren Menschen in Verbindung gebracht.
Doch ich bin mehr als der gemeinhin genannte „Arschabwischer“. Meine Ausbildung ist fundiert, sie ist anstrengend, nervenaufreibend, fordernd, hoch medizinisch und, als Sahnehäubchen, geragogisch – d.h. sie befasst sich mit Fragen von Lern- und Bildungsprozessen im Alter. Zusammenfassend gesagt: Sie ist allumfassend und wichtig.
Zeit für den einzelnen Menschen ist das Wichtigste.
Mein Beruf ist mehr als ein Job. Er ist eine Berufung. Täglich gehe ich zur Arbeit: früh am Morgen, am Nachmittag oder am späten Abend, auch am Wochenende, mache Überstunden, wenn es sein muss, übernehme Schichten, springe ein – und das alles für wenig Geld und wenig Anerkennung von außen. Aber für wen mache ich das alles? Nicht für mich, nicht für die Angehörigen unserer Bewohner und erst recht nicht für die Behörden und die Krankenkassen. Ich mache es für die Bewohner unserer Einrichtung, für die Gesellschaft, für die Menschen, die dieses Land nach vorne gebracht haben, es aufgebaut haben, als es in Schutt und Asche lag, für die Menschen, die ein Leben führten, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Die größte Anerkennung und der größte Reichtum ist das freudige Lächeln einer älteren Dame, die sich freut mich zu sehen, sind die Geschichten des älteren Herren, der so gerne über seine Jugend berichtet. Der größte Lohn ist ein „Danke“ für die Hilfe, die man geleistet hat und das Wissen, etwas Gutes für die Menschen getan zu haben, die so lange Gutes für uns Jüngere getan haben.
Doch wo führt es hin, welchen Weg wird die Pflege in Zukunft einschlagen bei immer höheren Anforderungen der Behörden und Krankenkassen? Wo bleibt die Zeit, die ein Mensch braucht, um würdevoll versorgt zu werden, die Zeit, ein paar nette Worte zu wechseln, sich die Lebensgeschichte anzuhören oder den Kummer und den Schmerz, den auch – vergesst das nicht – ältere Menschen haben, wenn auch tief in sich drin. Auch wenn sie stark sein und es nicht zeigen wollen, wenn sie uns – den Pflegekräften – nicht zur Last fallen wollen, weil sie sehen, welche Arbeit wir täglich leisten müssen.
Diese Zeit muss da sein, sie darf nicht zur Disposition stehen, um Krankenkassen und Behörden glücklich zu machen. Ich werde weiter dafür arbeiten und kämpfen. In der Politik. In der Gesellschaft. In der Pflege. – Es geht nicht um Papier, es geht um Menschen. Um Menschen, die es verdient haben, so gepflegt zu werden, wie sie gelebt haben: würdevoll.
Fabrice Wendt
6. Februar 2017 at 10:42Lieber Reinhard Leopold,
ich danke Ihnen sehr für dieses Feedback meines Gastbeitrages und das mir damit entgegengebrachte Lob – ich stimme Ihnen zu, im nachhinein betrachtet ist das von mir verwendete „müssen“ bezogen auf die Überstunden falsch formuliert – selbstredend „müssen“ wir es nicht, wir tun dies freiwillig und werden zuvor gefragt (so kann ich jedenfalls von meinem Haus sprechen, in dem ich meine Arbeit jeden Tag mit Lust und Liebe mache).
Ein „Ausbrennen“ ist natürlich, möchte ich es nennen, wenn man zu wenig an sich und überwiegend an die Bewohner denkt. Ich jedoch für meine Teil möchte mich etwas von dem distanzieren, was die allgemeine Öffentlichkeit immer wieder betont: den Mangel an Pflegekräften. Den so direkt stimmt diese Formulierung nicht – es gibt sie, die super ausgebildeten Pflegefachkräfte, das Problem: sie möchten – nachvollziehbar – unter den gegebenen Bedingungen nicht arbeiten.
Bezogen auf sie Dokumentation: Natürlich wird nur das dokumentiert, was geleistet wurde und natürlich wird damit auch viel Schabernack betrieben, in dem nicht geleistete Dinge „abgekürzelt“ wurden – doch welche Konsequenz hat das? Am Ende trägt die Kondequenz der Bewohner und die Mitarbeiter. Die Prüfungen des MDK interessiert die Bundesregierung nicht bezüglich der Personalbemessung, ohnehin erachte ich die jährliche Kontrolle des MDK für eher sinnfrei, als sinnvoll. Das bestätigte sich mir gerade wieder, als mein Haus geprüft wurde: „Praktisch leisten Sie hier alle unfassbar perfekte Arbeit“ – so das Zitat der Mitarbeiterin – doch am Ende kommt es auf fie Dokumentation an, die auf der Strecke bleibt um diese „unfassbar perfekte Arbeit“ leisten zu können und diese sorgt dann für eine schlechte MDKnote und die damit verbundenen Konsequenzen sind hahnebüchend, wie ich finde.
Deswegen ist meine konsequente Forderung: MDK-Benotung abschaffen, bze dahingehend verändern, dass die praktische Pflege an Relevanz gewinnt und die Dokumentation bundeseinheitlich standardisieren und massiv vereinfachen, um Zeit genug für eine optimale (meint individuelle) Pflege zu haben, die jeder Mensch, ob Bettler oder Kaiser, gleichermaßen verdient hat.
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Liebe Grüße
Fabrice Wendt
Reinhard Leopold
3. Februar 2017 at 22:12Lieber Fabrice Wendt,
meine Hochachtung für alle, die unter den derzeitigen miesen Bedingungen in der Pflege arbeiten und sich dennoch der wichtigen sozialen Aufgabe hingeben!
Als Angehöriger habe ich viele Jahre meine Eltern mit ihren Krankheiten in verschiedenen stationären Einrichtungen und über Jahre begleitet. Ich weiß also, wie pflegebedürftige Menschen, ihre Angehörigen und auch wie sich Menschen fühlen, die in der Pflege arbeiten.
Seit über 10 Jahren engagiere ich mich für Verbesserungen in der Pflege und suche den Schulterschluß insbesondere zwischen Pflegekräften und Angehörigen. Ich freue mich, dass es noch junge Menschen gibt, die sich in diesen physisch und psychisch nicht einfachen Berufen ausbilden lassen!
Doch habe ich folgende Klarstellungen und damit verbundene Bitten:
1) Anmerkungen zu dem ZITAT: „mache Überstunden, wenn es sein muss, übernehme Schichten, springe ein – und das alles für wenig Geld und …“
– Eine wesentliche Ursache für die Probleme in der Pflege ist, dass zuviele Pflegekräfte meinen Überstunden, zusätzliche Schichten machen und ungeplant einspringen zu müssen. Das ist einerseits sehr sozial und gut gemeint, andererseits sorgt es dafür, dass Pflege-Anbieter durch zu geringen Personaleinsatz a) zusätzliche Gewinne einfahren können und b) die vorhandenen Pflegekräfte regelrecht „verheizen“.
– „… wenig Anerkennung von außen …“ stimmt so nicht! Die zu geringe Anerkennung Eurer Leistung kommt von Eurern Arbeitgebern. Anerkennung und Wertschätzung durch die Pflege-Anbieter würden sich in besseren Arbeitsbedingungen, ausreichenden KollegInnen sowie einer guten Entlohnung ausdrücken!
Dagegen ist die Wertschätzung der allg. Bevölkerung gegenüber den Pflegekräften sehr groß, siehe Infos hier:
http://www.heimmitwirkung.de/smf/index.php?topic=2047.0 und http://www.heimmitwirkung.de/smf/index.php?topic=2011.0.
2) Meine BITTE: Laßt Euch nicht von Euern Arbeitgebern knechten und ausbeuten! Sondern arbeitet nach klar vereinbarten Regeln und Verträgen. Dokumentiert das, was Ihr geleistet habt – aber nicht mehr! Und wenn es Probleme und Überforderungssituationen in der beruflichen Tätigkeit gibt, die ihr so nicht beseitigen könnt, sucht den Kontakt und Schulterschluß mit den Angehörigen und der Bewohnervertretung (in Bremen stehe ich gerne persönlich ggf. dafür persönlich zur Verfügung). Engagiert Euch in Gewerkschaft und Berufsverband etc. pp.
Unterstützung, Chancen + Möglichkeiten:
– Arbeitnehmerkammer Bremen
– Gewerkschaften => Ver.di Bremen
– Berufsverband DBfK => DBfK Nordwest
– BIVA => Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen
– Pflege am Boden => bundesweite Aktion von und mit Pflegekräften und Angehörigen
– Pflege steht auf => Bremer Aktion von und mit Pflegekräften und Angehörigen
– …
Herzliche Grüße
Reinhard Leopold