Was ist uns Pflege wert?
Würden Sie in einem Beruf arbeiten, in dem Sie viel Verantwortung übernehmen, Stress haben und es zum Dank vergleichsweise wenig Gehalt, Anerkennung und Aufstiegsmöglichkeiten gibt? In dem Sie an Wochenenden und Feiertagen arbeiten und als Führungskraft kaum mehr Geld bekommen?
Ja, sagen sehr viele Pflegerinnen und Pfleger. Ja, weil wir stolz sind auf unseren Beruf. Ja, weil wir diejenigen sind, die Menschen in den schwersten Stunden ihres Lebens helfen. Ja, weil wir täglich sehen, was wir leisten. Aber es muss möglich sein, unsere Arbeit gut zu machen. Wenn wir durch übermäßige Dokumentation, Personalmangel und absurde Zeitvorgaben Menschen im Minutentakt pflegen sollen, wenn wir täglich Abstriche machen müssen an unserer Arbeit, wenn keine Zeit bleibt für persönliche Zuwendung – dann machen wir nicht mehr mit.
Dies ist die Botschaft, die ich aus der Pflege erhalten habe.
In der Frankfurter Rundschau, der Süddeutschen Zeitung und bei Care Invest wurde bereits über die Umfrage berichtet, die ich im Frühjahr unter Pflegekräften durchgeführt habe. Ich wollte mit ihnen sprechen, nicht über sie. Ich wollte direkt von ihnen wissen, wo sie der Schuh drückt und welche Veränderungen sie sich wünschen. 4.439 Pflegerinnen und Pfleger haben mir geantwortet. Das war überwältigend.
Pflege ist ein belastender Beruf
Die Befragten haben mich mitgenommen in ihren Arbeitsalltag – auf Intensivstationen, im Kreißsaal, in der ambulanten Pflege, im Pflegeheim. Sie haben mir erzählt, was sie täglich motiviert und welche Belastungen sie erleben. Der Pflegeberuf ist körperlich und seelisch anstrengend – so sehr, dass viele Pflegerinnen und Pfleger Angst haben vor dem Zusammenklappen und dem Burnout. Sie können sich nicht vorstellen diesen Stress, ausgelöst durch Zeitdruck, Bürokratie, Personalmangel und körperliche Anstrengung, bis zur Rente durchhalten zu können. „Pflege verkürzt Lebenszeit beim Personal. Schuld sind Arbeitsbelastung und Stress. Wir hetzen nur noch und niemanden interessiert es, wenn wir kaputt sind“, schreibt eine Teilnehmerin.
Pflege ist ein schöner Beruf
Warum ist Pflege trotzdem ein schöner Beruf? Weil Pflegerinnen und Pfleger zu Recht stolz sind darauf, dass sie mit ihrem pflegerischen Wissen und ihrer menschlichen Zuwendung alten, schwachen oder kranken Menschen beistehen. Sie empfinden eine hohe Verantwortung für ältere Menschen, „um die sich sonst kaum einer kümmert“. Sie wissen, dass sie einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Sie erfahren durch ein Lächeln und die Dankbarkeit der Pflegebedürftigen, wie wichtig sie sind. Und als Führungskräfte sind sie stolz, wenn sie den Spagat schaffen zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit und ihren Mitarbeitern gute Arbeitsbedingungen bieten.
Diese Antworten zeigen, welches Potential im Pflegeberuf steckt, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen und man sich mit seinem Wissen, Können und sozialen Fähigkeiten einbringen kann. Es ist ein Beruf, der viel abverlangt, aber auch viel zurückgibt. Für viele ist er eine Berufung. Es steckt sehr viel Idealismus in den Antworten – und der starke Wunsch, gut zu pflegen.
Was nun?
Ist doch alles bekannt, werden manche sagen. Ändert doch nichts. Doch das kann nicht die Antwort sein! Als alternde Gesellschaft sind wir gemeinsam gefragt bei einem Thema, das uns in Zukunft noch mehr beschäftigen wird. Jeder von uns – in der Politik, im Gesundheitswesen und in der Gesellschaft muss sich fragen: Was ist uns die Pflege wert? Was kann ich tun, um etwas zu verändern?
An der Stelle werde ich als Politikerin natürlich nicht aufhören. Mit einem Antrag werde ich wichtige Themen dieser Umfrage auf die politische Tagesordnung setzen und deutlich machen: Diese Probleme sind noch nicht gelöst!
Mit der Umfrage wollte ich den Pflegekräften eine Stimme zu geben in einer oft abstrakten Diskussion. Ihre Botschaft lautet klar: Die derzeitige Situation in der Pflege produziert einen weiteren Nachwuchsmangel. Wenn wir jetzt einen Pflegenotstand haben, gibt es zukünftig die Pflegekatastrophe. Und wer die Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf ändern möchte, muss sofort handeln – sonst wird es keine Pflegerinnen und Pfleger geben, die davon noch profitieren können.
Was denken Sie darüber? Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.
Ihre
Die Ergebnisse finden Sie hier: Zur Umfrage
Und hier geht es zum Antrag „Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern“
Uwe Goldbach
3. Februar 2017 at 11:43Nach 30 Jahren direkter Krankenpflege habe ich mich sechs Wochen lang wegen einer psycho-vegetativen Erschöpfung (auch Burn-out genannt) in stationäre psychosomatische Behandlung begeben müssen.
Dabei stellte sich heraus, dass ich durch arbeitsbedingte Faktoren psychische Schäden erlitten habe.- Um für die Zukunft keinen Rückfall zu erleiden, rät man mir dringend einen anderen Beruf mit regelmässigen Arbeitszeiten zu ergreifen.
Vorsorglich habe ich mich aus dem Pflegeberuf zurückgezogen und arbeite jetzt in einer „Nische“:
1. kann ich jetzt politisch aktiver werden
2.bekommt dieses System meine Arbeitskraft nicht mehr
und dennoch:
3. sollten sich die Bedingungen verbessern- dann bin ich gerne bereit wieder in diesen eigentlich wunderbaren Beruf einzusteigen!!
Kerstin Fasel
15. Dezember 2016 at 18:26Kein Wort darüber welchen Beitrag und Mehrwert Pflege leitet, sonder nur wieder die Begriffe „körperlich“ und „Zuwendung“. Wir sind es, die die Folgen von Alter und Krankheit kompensieren. Wir sind die, die Wege aufzeigen und begleiten, auf denen das Leben trotz Einschränkungen lebenswert und selbstbestimmt und mit Würde gestaltet werden kann. Wir sind da wenn Mediziner fertig sind aber der Patient noch lange nicht gesund ist! Das ist Pflege!
A. Heiny
14. Dezember 2016 at 19:09Es wird in den nächsten Jahrzehnten immer weniger Pflegepersonal und immer mehr Pflegebedürftige und Demenzkranke geben – das ist Fakt. Das spüren alle aktiven Pflegefachkräfte täglich in ihrem Dienstalltag. Und die „Politik“ wird daran nichts ändern können oder auch wollen (z.B. „Gesetzliche Mindestpersonalbemessung“) und das ist auch Fakt ! Das System wird ab 2030 beginnen zu kollabieren, dann wird aus einem Pflegenotstand (der schon jahrzehntelang schwelt) …. eine humanitäre Pflegekatastrophe (ein „Tsunami“ baut sich langsam auf und ist dann plötzlich da !). Gruß, ein Alten- und Krankenpfleger (50) mit jahrzehntelanger Berufserfahrung und 1900,- Euro Gehalt !
Marco Schmidt
14. Dezember 2016 at 6:11Pflegenotstand ist das Schlüsselwort, auf das ich hier gerne einmal eingehen möchte.
Ich komme aus Berlin und ich kann nur zur aktuellen Situation in Berlin etwas sagen. Ich selber bin seit 30 Jahren in der Pflege und seit 26 Jahren in leitender Position.
In Berlin ist es so, dass der Markt der Pflegekräfte leer ist. Es gibt einen regelrechten Kampf um Pflegekräfte. Alle suchen und damit meine ich nicht nur Krankenhäuser, sondern Seniorenpflegeeinrichtungen (Pflegeheime), ambulante Pflegedienste und auch Leasingfirmen. Ja, auch Leasingfirmen (Zeitarbeitsfirmen) suchen intensiv nach Pflegepersonal. Das Geschäft mit den Leiharbeiter in der Pflege boomt. Warum? Zum einen, weil es kein Pflegepersonal auf dem Markt zu finden gibt, zum anderen wird ein neuer Geschäftszweig in den Krankenhäuser ausgebaut, der Pflegepersonen benötigt. Der neue Geschäftszweig heißt: Privatstationen. Hier werden Stationen mit hohem Komfort eröffnet, die Privatpatienten anlocken sollen – mit Erfolg! Und weil der Erfolg dieser Stationen so groß ist, werden weitere dieser Privatstationen geplant und auch extra gebaut. Diese benötigen aber qualifiziertes Pflegepersonal
Ein weiterer Grund warum so viele Leasingkräfte gebraucht werden ist ein hoher Krankenstand in den Pflegeeinrichtungen. Die Arbeitsdichte hat sich in den letzten 15 jahren immens erhöht. Hinzu kommt der sogenannte „Papierkram“. Alles und jedes muss dokumentiert werden, teilweise auch doppelt. Contollingaufgaben die einen Betrieb effizienter machen sollen, werden auf die Stationsleitungen übertragen. Aber auch sinnfreie Aufgaben, wie die tägliche Dokumentation der Kühlschranktemperatur des Medikamentenkühlschrankes, der ein eingebautes Thermostat mit LED-Anzeige und einen Alarmgeber bei zu hoher Temperatur hat.
Warum gibt es zu wenige qualifizierte Pflegekräfte? Sicher ist, dass der Beruf der klassischen Krankenschwester nicht mehr so attraktiv ist wie vor 30 Jahren. In den 80’iger hatte sich die Pflege schon gut aufgestellt. Das Konzept der Gruppen -bzw. sogar Zimmerpflege konnte in vielen Häusern umgesetzt werden. Es wurden sogar Krankenhäuser nach dem Konzept der kleinen Stationen, in dem Fall Gruppen, konzipiert und gebaut (Beispiel: Humboldt Krankenhaus 1985).
Dann kam das Jahr 2000. Das Gesundheitssystem wurde reformiert. Laut den Politikern und der Krankenkassen gab es zu viele Krankenhäuser. Liegetage sind zu lang, da kann man doch was machen. DRG, die Fallpauschale kam in großen Schritten (2003). Krankenhäuser holten sich externe Berater, die ihnen sagten, wo Personal einzusparen ist. Stationen wurden zu großen Stationen zusammengelegt. ausscheidende Mitarbeiter wurden nicht ersetzt. Und vor allem, es wurden die Ausbildungsplätze dramatisch reduziert. Dadurch, dass jahrelang nicht ausgebildet, bzw. nicht genügend ausgebildet wurde, ist eine Generationslücke entstanden. Es gab ja lange Zeit keinen Bedarf an Pflegekräften. Im Gegenteil, es gab einen Überhang.von Pflegekräften.
Zurück zur Gegenwart. Früher reichte für die Ausbildung zur Krankenschwester/ Krankenpfleger ein Realabschluss oder ein Hauptschulabschluss mit einem erlernten Beruf. Jetzt möchte man möglichst nur Abiturienten haben. Auch ein Grund warum es nur eine dünne Decke von Bewerbern gibt. Ein Teil, der dann die Ausbildung macht, studiert anschließend und steht der Pflege nicht mehr zur Verfügung.
Allerdings scheint es so, als besinne man sich langsam auch wieder auf die Realschüler, wahrscheinlich um die Kurse voll zubekommen.
Der Pflegenotstand kommt also nicht von ungefähr. Krankenhäuser sind schon soweit, dass sie Prämien auszahlen, wenn Mitarbeiter qualifizierte Pflegekräfte beschaffen,sprich von woanders abwerben. Und die Prämien sind nicht niedrig und liegen im 4-stelligen Bereich.
Nebenbei und damit schließe ich auch dann:
Hier ist ganz klar die Politik gefordert. Sie war die Ursache der ganzen Misere (2003 Einführung der DRG’s) und das Gesundheitswesen muss wieder in staatliche Hand. Der Staat hat sich um die Gesundheit seiner Bürger zu kümmern, nicht private Unternehmen!
Marco Schmidt
FIORUCCI
13. Dezember 2016 at 21:07Habe der link auf die FB seite der ALAS gepostet.
ALAS ist die Vereinigung der Krankenpflegerhelfer aus Luxemburg