Deutliche Worte in der Pflege
Die Pflege an sich ist sehr oft sehr ruhig. Auch wenn es um die eigenen Belange geht.
Wenn es darum geht, darauf hinzuweisen, dass der Pflegekräftemangel im täglichen Arbeitsalltag kaum mehr zu kompensieren ist. Dass der Druck immer höher wird und die persönliche Unzufriedenheit sich mehr und mehr in Frust auswächst. Ein Gefühl, dass viele Pflegekräfte kennen und das sie mir bei meiner Online-Umfrage im letzten Jahr genau so bestätigt haben.
Zeitdruck, hetzen durch die Schicht, geholt aus dem Frei, die immer größer werdende Lücke zwischen eigenem Anspruch und der Realität im Job. Ein kollektives ungutes Gefühl, dass viel zu wenig offen ausgesprochen wird.
„Ich bin eine Maschine und der Mensch ist meine Baustelle“
Und manchmal finden sich dann doch Pflegekräfte, die sehr deutlich werden. Und das öffentlich, auf der Bühne mit Mikrofon. Nicht als Rede am Redepult. Nein, sie formulieren in einem CareSlam ihre Sorgen und Nöte. Sie thematisieren ihren Arbeitsalltag und was in ihren Augen darin schiefläuft und was sie ändern wollen.
Da steht eine junge Frau, eine Auszubildende, im Rampenlicht und liest einen Text vor, bei dem jedes Wort nachhallt, jede Formulierung sitzt. Das Publikum muss sich konzentrieren beim Zuhören, denn es geht Schlag auf Schlag. Der Saal ist still, man könnte eine Stecknadel fallen hören. Wir sind alle gefesselt. Es ist eine starke Aussage, wenn die angehende Pflegefachkraft Sabrina Maar rezitiert „Ich bin eine Maschine und der Mensch ist meine Baustelle…“ oder beschreibt, wie ein dementer Mensch nicht essen möchte und sie nach einer inneren Zerreißprobe zwischen Zeitdruck und Empathie dann doch fragt: „Was ist denn los?“ In ihrer Doku steht am diesem Tag nicht „Essensaufnahme verweigert“. Sie schließt mit den Worten: „Ich möchte aussprechen, worüber ich heute noch schweige!“ Das Publikum klatscht. Alle im Saal sind begeistert. Zu recht. Das waren klare Worte und ein starker Auftritt. Mir imponiert die Courage dieser jungen Frau.
Wir brauchen einen gemeinsamen lauten CareSlam.
Und dann denke ich, dass wir jeder Pflegekraft begeistert applaudieren sollten, wenn sie auf Missstände in der Pflege oder ihren Arbeitsalltag hinweist. Dass jeder Arbeitgeber in der Pflege solche Pflegekräfte feiern sollte, die offen und ehrlich sind, die sich trauen. Oft höre ich den Satz „Wenn wir ehrlich wären, dann…“. Warum haben wir eigentlich alle Angst vor Ehrlichkeit in der Pflege. Weil wir dann vielleicht endlich mal wirklich handeln müssten? Jeder an und in seiner Position? Wir müssen hier endlich alle unsere Hausaufgaben machen. Die Politik, die Gesetze machen muss, die den Personalmangel wirklich bekämpfen und nicht nur so tun, als ob. Die Arbeitgeber, die für gute Führung sorgen müssen. Arbeitgeber, denen das Wohlergehen der Belegschaft wichtiger sein muss als die Pflege-TÜV-Note im Eingangsbereich. Die Pflegekräfte, die laut werden und aussprechen müssen, worüber sie heute noch schweigen. Und die Gesellschaft, die erkennen muss, dass es gute Pflege nicht zum Dumpingtarif gibt und das soziale Gewissen allzu oft beim eigenen Geldbeutel aufhört.
Wir sind alle gefragt, in einen gemeinsamen lauten CareSlam einzustimmen. Was bitte hindert uns?
Ihre
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